Anti-kurdische Sprachgewalt in Schulen

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Dieser Blog ist Teil des kurdischen Erzählprojekts von Respond. Besuchen Sie die Hauptseite des Projekts hier.

von Raman Salah

Obwohl sprachliche Gewalt in vielen Bereichen vorkommt, von Katastrophenhilfe über humanitäre Hilfe bis hin zu rechtlicher, medizinischer und psychologischer Unterstützung, ist das Schulsystem einer der heimtückischsten und generationenübergreifend bedeutsamsten Schauplätze institutionalisierter sprachlicher Gewalt.

Dies gilt für verschiedene Kulturen und Umgebungen, in denen Sprachgewalt gegen marginalisierte oder indigene Sprachen endemisch ist. In Amerika zum Beispiel ist die Sprachgewalt gegen indigene Schüler*innen an Schulen institutionalisiert wordenDas US-amerikanische Bildungssystem diskriminiert insbesondere Schüler*innen aus nicht-englischsprachigen Elternhäusern. In Kurdistan ist die Situation ähnlich: Das Bildungssystem steht im Zentrum der Bemühungen, die Auslöschung der kurdischen Identität und Kultur fortzuführen.

Kurdischsprechende Personen berichteten Respond von ihren Erfahrungen mit sprachlicher Gewalt an Schulen, sowohl in der Rolle als Schüler*innen als auch als Lehrer*innen. Obwohl die genaue Form und das Ausmaß der Unterdrückung des Kurdischen in Schulen in den vier verschiedenen Regionen Kurdistans variiert, ist ihnen allen gemein, dass Schüler*innen expliziter und impliziter Diskriminierung, Unterdrückung und sogar Bestrafung ausgesetzt sind, wenn sie ihre kurdische Identität in der Schule zum Ausdruck bringen.

Bakur (türkisch-besetztes Kurdistan) - Kurmandschi und Zazakî Kurdisch

„Die verschiedenen türkischen Regierungen haben den Unterricht der kurdischen Sprache eher als spaltende, existenzielle Bedrohung denn als Instrument der Einheit und als Symbol für den Reichtum der Vielfalt des türkischen Staates betrachtet.“

Georgetown Journal of International Affairs

In der Türkei ist es generell verboten, Kurdisch als Unterrichtssprache zu verwenden. Gemäß Artikel 42 der türkischen Verfassung ist es verboten, „türkischen Staatsbürger*innen an irgendeiner Bildungseinrichtung eine andere Sprache als Türkisch als Muttersprache zu lehren.“ Während die Beschränkungen für den Unterricht in Kurdisch in den letzten zehn Jahren leicht gelockert wurden, wurden alle Fortschritte schnell wieder rückgängig gemacht, was zur Schließung der wenigen kurdischsprachigen Einrichtungen führte, die 2013 für ein paar Jahre geöffnet waren. Einige Schulen widersetzen sich jedoch diesem Verbot mit Lehrer*innen, die im Geheimen und in Privatwohnungen Kurdisch unterrichten, selbst unter der Gefahr, verhaftet und als Terrorist*in eingestuft zu werden.

„Stell dir vor, du bist ein Kind und wächst mit deinen Eltern in einem Dorf auf, in dem alle dieselbe Sprache sprechen, aber sobald es um deine Bildung und deinen Unterricht geht, fängst du an, in einer Sprache zu lernen, die du noch nie zuvor gehört hast“, erklärt Rojda Arslan, die Zazakî spricht. „Die Kinder wurden gezwungen, schwierige Aufgaben zu erledigen und Mathematik, Physik und andere Fächer in der dominanten Sprache zu lernen.“

Wenn kurdischen Kindern der Unterricht in ihrer Muttersprache verweigert wird, trägt dies zu schlechten Leistungen, geringem Selbstwertgefühl und anderen negativen Folgen bei, so die Forschung und die Aussagen mehrerer Befragter. Jiyan*, eine kurdischsprachige Lehrerin aus Bakur, erzählte Respond von ihren Erfahrungen mit kurdischen Schüler*innen während des Erdbebens in der Türkei und Syrien im Februar:

„Ich habe meine eigene kurdische Identität offengelegt und so eine Bindung hergestellt, die ihnen bei der Integration geholfen hat… Eine weitere Ebene der Komplexität kam zum Vorschein, da die Schüler*innen anfangs zögerten, ihre kurdische Identität preiszugeben. Die Angst vor möglicher Ausgrenzung und die Ungewohntheit, die einzigen Kurd*innen in einer Privatschule zu sein, lasteten schwer auf ihnen… Einer von ihnen hatte leider Schwierigkeiten, sich anzupassen und verließ schließlich die Schule, während eine andere nach Malatya zurückkehrte und den Wunsch äußerte, ihr Kurdisch zu verbessern.“   

Wie die Schüler*innen erlebte auch Sevim Zelal Tonbul während ihres Studiums in der Türkei die implizite und explizite Unterdrückung ihrer kurdischen Muttersprache: 

„Meine Muttersprache ist Nordkurdisch (Kurmandschi), und Türkisch habe ich erst in der Schule gelernt. Unsere Lehrer*innen waren türkisch, sie sprachen kein Kurdisch und es gab keine Lehrassistent*innen für die kurdischen Schüler*innen… Wir waren arme Kinder, die kein Türkisch verstanden, weil wir in kurdischen Familien geboren wurden und unsere erste Sprache Kurdisch ist. ... Jeden Morgen wurden wir gezwungen, ein Bekenntnis zum Türkischsein zu lesen. Wir waren uns bewusst, dass wir Kurd*innen waren, die Kurmandschi sprachen, aber wir wurden gewarnt, in der Schule nichts zu sagen, weil wir sonst Ärger bekommen würden.“ 

Sevims Geschichte zeigt, wie die türkische Sprache als Waffe eingesetzt wurde, um nicht nur das gesprochene Kurmandschi zu unterdrücken, sondern auch die kurdische Selbstidentifikation der Schüler*innen im Allgemeinen. Untersuchungen haben ergeben, dass, obwohl Kurd*innen etwa ein Fünftel der türkischen Bevölkerung ausmachen, nur wenige Kurdisch sprechen, lesen oder schreiben können - eine Umfrage aus dem Jahr 2019 ergab beispielsweise, dass weniger als die Hälfte der kurdischen Befragten im Alter von 18 bis 30 Jahren ihre Muttersprache sprechen konnten.

„Die Wahrnehmung der kurdischen Sprache als eine Gefahr hat für Generationen kurdischer Menschen schwerwiegende Folgen beim Zugang zu ihren Grundrechten, einschließlich der Bildung, in der Türkei nach sich gezogen. Kurd*innen sind seit langem mit systematischer Unterdrückung und Segregation innerhalb des Bildungssystems und der Gesellschaft konfrontiert. ... Mehr als zwanzig Millionen Kurd*innen wurde ihr Menschenrecht auf Bildung in ihrer Muttersprache, das ihnen nach internationalem Menschenrecht zusteht, genommen.“
Georgetown Journal of International Affairs


Rojava (syrisch-besetztes Kurdistan) - Kurmandschi Kurdisch

Tavge*, eine Lehrerin, Übersetzerin und Kurmandschi-Sprecherin aus Rojava, floh 2011 während des syrischen Bürgerkriegs mit ihrer Familie nach Bashur. Da ihr der Zugang zu kurdischem Sprachunterricht an Schulen verwehrt wurde, lernte Tavge* Kurmandschi von ihren Eltern:

„Ich habe in der Schule nie meine Muttersprache gelernt, weil die offizielle Schulsprache Arabisch war und wir in der Schule nie unsere Muttersprache sprechen durften ... [und] ich war immer gewalttätigen und hasserfüllten Aktionen meiner Klassenkamerad*innen ausgesetzt.“

Bashur (irakisch-besetztes und halbautonomes Kurdistan) - Sorani und Kelhorî Kurdisch

Nach Jahrzehnten der Organisation und des politischen Kampfes wurde Sorani 2005 endlich zur offiziellen Sprache in Bashur erklärt. Dennoch sind Kurd*innen im Irak im Alltag weiterhin sprachbasierter Gewalt ausgesetzt.

Berivan*, ein Journalist und politischer Aktivist aus Bashur, spricht Sorani-Kurdisch und verfügt über sehr gute Kenntnisse im Nordkurdischen (Kurmandschi) sowie im Türkischen. Er studierte in der Türkei und erlebte während seines Studiums eine ausgrenzende Sprache. Er beschreibt das Lehren und Lernen des Kurdischen in verschiedenen kurdischsprachigen Gebieten wie folgt:

„Im Iran ist es Kurd*innen nicht erlaubt, ihre Sprache zu lernen. Es gibt Persönlichkeiten wie Zara Muhammadi, die ins Gefängnis kam, weil sie die Sprache unterrichtete… In der Türkei können Kurd*innen bis heute nicht in ihrer eigenen Sprache studieren.“

Sarah Ali Mohammad Amin, Studentin und Sorani-Sprecherin, stammt aus der Stadt Kirkuk, die in der irakischen Verfassung als umstrittenes Gebiet zwischen der Region Kurdistan und der irakischen Regierung (FGI) gilt. Ihre Erfahrungen mit anti-kurdischer Sprachgewalt erstrecken sich nicht nur auf die Grundschule, sondern auch auf ihr Universitätsstudium.

„An den Universitäten in der Stadt halten die Professor*innen ihre Vorlesungen hauptsächlich auf Arabisch, was für die kurdischen Studierenden, die die Hälfte der Studierendenschaft ausmachen, eine große Herausforderung darstellt. Infolgedessen haben kurdische Eltern begonnen, ihre Kinder auf arabische Schulen zu schicken, um ihnen das Studium zu erleichtern. Auch wenn dies für manche nicht von Bedeutung zu sein scheint, stellt es für diese Studierenden ein erhebliches Problem dar. Sie haben Schwierigkeiten, in ihrer Muttersprache zu lesen und zu schreiben, was zu einer verminderten Fähigkeit führt, auf Kurdisch zu sprechen, zu schreiben und zu lesen.“ (Hervorhebung hinzugefügt.)

Rojhelat (iranisch-besetztes Kurdistan) - Sorani, Kurmandschi und Hewramî-Kurdisch

Während das iranische Regime die kurdische Bevölkerung öffentlich lobt, um ihre politische und wirtschaftliche Unterstützung zu gewinnen, werden kurdische Lehrer*innen und Aktivist*innen genau beobachtet, zur Zielscheibe gemacht, schikaniert und fast täglich verhaftet. Leider haben es einige kurdische Sprachaktivist*innen nicht immer lebend aus dem iranischen Gefängnissystem herausgeschafft.

Eine dieser Persönlichkeiten, die in kurdischen und progressiven iranischen Kreisen in Erinnerung geblieben ist, ist Ferzad Kemenger, ein kurdischer Grundschullehrer, der von der Islamischen Republik Iran wegen moharebeh oder „Kriegsführung gegen Gott“ angeklagt wurde. Selbst als er vier Jahre lang im iranischen Gefängnis festsaß, wo er gefoltert und unter Druck gesetzt wurde, ein Verbrechen zu gestehen, das er nicht begangen hatte, schrieb Kemenger unermüdlich über seine Sprache und seine Identität. In seinen letzten Briefen, die aus dem Evin Gefängnis geschmuggelt wurden, stellte er die Frage: „Ist es möglich, ein Lehrer zu sein, wo es eine Dürre von Gerechtigkeit und Fairness gibt, und nicht das Alphabet der Hoffnung und Gleichheit zu lehren?“ Kemenger wurde im Jahr 2010 durch Hängen hingerichtet.

Gordyaen Jermayi, ein Menschenrechtsaktivist aus der Stadt Urmia, in der die Mehrheit der Bevölkerung Kurmandschi-Kurdisch spricht und sich selbst Sorani-Kurdisch beibringt, hat diese Situation als junger Mensch miterlebt. Seine frühen Kämpfe sind Teil dessen, was ihn dazu gebracht hat, als Erwachsener für Sprachgerechtigkeit zu kämpfen.

„Ich wohne in Urmia, einer Kurmandschi sprechenden Stadt in Rojhelat. Wir lernen Kurmandschi auf informelle Weise von unserer Familie, während ich Sorani, einen weiteren Dialekt, von Mitschüler*innen und aus dem Internet gelernt habe. Die anhaltende Gewalt geht sogar über die Unterdrückung der kurdischen Sprache hinaus und stellt sie und andere nicht-persische Sprachen als "unzivilisiert" dar. Die Behörden drängen in den Schulen auf ein perfektes Persisch und setzen Sprachkompetenz mit Bildung gleich. Dieser Zwang wirkt sich auf alle Aspekte unseres Lebens aus. Ich habe bereits in der ersten Klasse Repressionen durch die persische Sprache erlebt, als die Lehrerin uns bestrafte, weil wir sie nicht fließend sprachen. Nicht persisch sprechende Kinder sind mit sprachlichen Barrieren konfrontiert, die ihnen von Lehrer*innen auferlegt werden und ihre schulischen Leistungen beeinträchtigen. Diese Hindernisse führen häufig zu hohen Abbruchquoten. Der Ausschluss dieser Sprachen im Bildungswesen gefährdet ihr Überleben.“ (Der Klarheit und Länge halber bearbeitet.)

Gordyaen führt aus, dass es verschiedene Online Ressourcen zum Erlernen der verschiedenen kurdischen Dialekte gibt, darunter Lehrplattformen, Sprachlern Apps, Podcasts, Wörterbücher und kostenlose Publikationen. Diese Arten von Ressourcen, so Gordyaen, „können zwar dazu beitragen, die kurdische Sprache zu bewahren, aber sie sind nicht perfekt. [Kurdisch] muss im Bildungssystem verankert sein, um vollständig geschützt zu werden.“

Das Erdbeben in der Türkei und Syrien im Jahr 2023 und seine Folgen brachten tief verwurzelte Muster der Diskriminierung und Vernachlässigung der kurdischen Sprache ans Tageslicht, die zu dem Ausmaß der Zerstörung beitrugen, die die kurdischen Gemeinschaften unverhältnismäßig stark traf.

Wie hier jedoch beschrieben, gibt es diese systematische Sprachgewalt schon lange vor und weit über das Erdbeben hinaus - einschließlich der Unterdrückung der kurdischen Identität in Schulen in Bakur, Rojava, Bashur und Rojhelat. Diese Gewalt ist mindestens seit mehreren Jahrzehnten ein Merkmal des Bildungswesens in ganz Kurdistan; trotzdem geht der Kampf junger Kurd*innen für Gerechtigkeit weiter.


*Einige Namen wurden geändert, um die Privatsphäre und die Sicherheit unserer Projektteilnehmenden und ihrer Angehörigen zu schützen. Da mehrere kurdische Namen in ganz Kurdistan von den Besatzungsmächten verboten wurden, weisen wir darauf hin, dass wir uns für die Verwendung von Namen entschieden haben, die verboten sind.

 
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